Ökosysteme, Konvergenz-Know-how und Partnernetzwerke sind Enabler für neue Geschäftsmodelle

Eigentlich sind es Binsenweisheiten und auch im Geschäftsleben sind es „alte Hüte“: (1) Zusammen geht es meist besser als allein und (2) natürlich sollte man, wenn immer möglich, auf Bestehendem aufbauen, anstatt alles neu zu erfinden. Dass diese Erkenntnisse durchaus belastbar sind, zeigt auch die hierzu breit abgestützte Forschung in einer Vielzahl von Fachgebieten: Zu nennen sind dabei die Wirtschaftswissenschaften, die sich intensiv mit Netzwerkeffekten, Ökosystemen und komparativen Kostenvorteilen beschäftigt, aber auch die Soziologie und Psychologie liefern umfangreiche Beiträge in Bezug auf Kollaboration, Innovation und Organisationstheorie. Doch die Energiewirtschaft tut sich hier immer noch schwer. Die Branche arbeitet noch viel in Silos. Grundsätzlich ein nachvollziehbarer Reflex, denn kennt die Branche Erträge doch vornehmlich aus einem monopolistischen Geschäftsmodell.

Wir befinden uns heute schon mitten in einem Umfeld, in dem wir nicht mehr in linearen Wertschöpfungsketten denken, sondern in Ökosystemen. Ökosysteme in dem Sinne, dass es nicht mehr das primäre Ziel sein kann, einen möglichst hohen Anteil der Wertschöpfung selbst, also „in-house“ abzubilden, sondern als Teil einer Struktur mehrere Teilnehmer. Das Ökosystem kann aus verschiedenen Unternehmen bestehen und – etwas idealistisch gesprochen – jeder fokussiert sich auf das, was er am besten beitragen kann. Insbesondere wenn wir über digitale Geschäftsmodelle nachdenken, sind klassische Silos kaum mehr denkbar. Ganz im Gegenteil: Es braucht Ökosysteme für Wachstum und auch als kreativen „Enabler“ für neue Geschäftsmodelle.

Gleichzeitig gibt es aktuell auch eine starke Entwicklung zu den „One-Stop-Shop“ Unternehmen, die in einer Art Oligopol genau das Gegenteil leben: Die Integration nicht nur von Wertschöpfungsstufen, sondern die Verschmelzung und Neuorchestrierung von ganzen Branchen (z.B. Google, Amazon, Alibaba).

Heisst das, dass sich Ökosysteme und Oligopole einander widersprechen? Ganz und gar nicht, denn beide folgen der gleichen Logik: Am Ende geht es um die Bündelung von viel Kapital, die Bereitstellung der geeigneten Schnittstellen, der richtigen Steuerung, sowie um den Aufbau und die Integration einer Vielzahl von Kompetenzen.

  • Kapital: Nur wer viel Kapital vereinen kann, kann in der sich entwickelnden Plattformökonomie und den damit verbundenen globalen Wertschöpfungsketten attraktive Dienstleistungen und Produkte anbieten. Oligopole haben das Kapital dies selbst zu organisieren, kleinere Strukturen müssen partnerschaftlich kooperieren und Know-how bündeln, um das nötige Kapital „zu vereinen“ und den Oligopolen vergleichbare Wertschöpfungsketten zu entwickeln.
  • Schnittstellen: Konzeptionell als auch technisch nehmen Schnittstellen in Ökosystemen eine zentrale Rolle ein. Geht es doch darum die Verbindungsstücke zu definieren, welche von einer beliebigen Anzahl von Partnern genutzt werden können, um auf die Wertschöpfung einzuzahlen (z.B. über eine Plattform). Je besser dies konzipiert ist, desto unproblematischer können Teilnehmer in dem Ökosystem kooperieren.
  • Steuerung: Eine Grundvoraussetzung für das effektive Arbeiten sind geeignete Spielregeln zwischen den Partnern. Dies, zum einen hinsichtlich des sogenannten Share-Of-Wallet (Verteilung der Erträge), zum anderen hinsichtlich des Activity Splits (Erbringung der Aufgaben). Hierfür braucht es Verträge sowie eine Governance, die Grenzen festsetzt und doch grösstmöglichen Spielraum zulässt.
  • Kompetenzen: Die verschiedenen inhaltlichen Kompetenzen, welche Partner einer Wertschöpfungsstufe einbringen müssen effektiv verstanden und integriert werden. Für diese Zusammenführung von Kompetenzen wiederum müssen neue Fertigkeiten entwickelt werden, z.B. ist der Begriff des Partnermanagers seit einigen Jahren in aller Munde. Im Fokus stehen also die Kernkompetenzen und die Entwicklung neuer Kompetenzen.

Ein wesentliches Argument für Ökosysteme sind sicher auch die verkürzte Time-To-Market und damit höhere Profitabilität im Ökosystem-Ansatz, verglichen mit einer Eigenentwicklung. Um dieses neue Modell umzusetzen braucht es neue Strategien. Dies wiederum erfordert, dass wir Dinge anders angehen. Wer Veränderung will, muss sich verändern. Einige Branchen, wie die junge Tech-Industrie, tun sich hier relativ leicht. Andere hingegen, wie zum Beispiel die Energiewirtschaft, bemühen sich in Ansätzen, sind aber noch weit von wirklichen Ökosystem-orientierten Geschäftsmodellen, aktiven Partnernetzwerken und einer Erweiterung der eigenen Kompetenzen entfernt. Wer sich nur ein wenig zurück erinnert findet viele Beispiele für die klassische „Silo-Strategie“ bei der Suche nach neuen Erträgen. Eine teure Strategie die man sich in Zeit prall gefüllter Kriegskassen dazumal noch erlauben konnte. Doch auch hier haben sich die Zeiten geändert.

Ein schönes Beispiel ist mit dem Schlagwort „Smart Home“ beschrieben. Es gab in der zweiten Hälfte der Nuller Jahre und teilweise auch noch bis heute eine Vielzahl von Projekten bei lokalen und regionalen Energieversorgern die das Ziel hatten, eigene Smart Home Lösungen zu entwickeln.  Eigene Smart Home Lösungen für kleine Städte, Gemeinden und Regionen wo die mögliche Nutzergruppe von vornherein stark begrenzt war. Dafür wurden in jahrelanger Projektarbeit Konzepte entwickelt, Endgeräte gebaut, Plattformen und Schnittstellen programmiert. Die Erwartungen an Umsatzhochlaufkurven wie auch Projektergebnissen konnten kaum gehalten werden. Im Ergebnis wurden nahezu alle Smart Home Initiativen in ihren ursprünglichen Projekt-Ausrichtungen irgendwann beendet. Ein lokales EVU (Energieversorgungsunternehmen) ist leider kein Experte für Software-Entwicklung, kein Experte für intelligente Bauteile oder für IoT (Internet of Things) Netzwerke. Am wenigsten ist ein EVU jedoch für die Entwicklung von starken Kundenerlebnissen (Customer Experiences) und komplexen vernetzten Lösungen für Endkunden bekannt. Doch am Ende ist Smart Home genau das: Die Schaffung eines starken Kundenerlebnisses. Die per App gesteuerte Glühbirne ist weder smart noch ein Kundenerlebnis.

Es gibt weitere Beispiele in der Energiewirtschaft und anderen Industrien, die man beliebig ausführlich beschreiben kann. Im Rahmen der Diskussion um Ökosysteme und neue Geschäftsmodelle ist jedoch vor allem wichtig zu akzeptieren, dass der Ansatz, neue Geschäftsmodelle allein zu entwickeln, nicht zielführend ist.

Beispiele neuer Geschäftsmodelle in der Energiewirtschaft, die nur im Ökosystem erfolgreich sein können

Inzwischen gibt es auch in der Energiewirtschaft eine Vielzahl von beeindruckenden Projekten, mit dem Ziel neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Immer mehr beobachtet man dabei ein Arbeiten in Partnernetzwerken, so dass Vorteile von Ökosystemen genutzt werden können. Interessant sind Geschäftsmodelle, welche intelligente und vernetzte Sensoren nutzen (IoT-Devices), da sie zeigen wie konvergent verschiedene Branchen heute schon sind und wie wir Kompetenzen anderen Branchen in gemeinsamen Geschäftsmodellen nutzen können.

Elektromobilität

Im Rahmen der Energiewende werden diverse Strategien diskutiert. Eine der in der Öffentlichkeit prominentesten Strategien ist sicher das Thema E-Mobilität. Die Energiewirtschaft hat sich viele Jahre kaum beteiligt und hat das Feld Batterieproduzenten, Automobilunternehmen, Softwarehäusern usw. überlassen. Dies, obwohl die Energiewirtschaft hier offensichtlich eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Zunächst sicher nur als reiner Energielieferant. Aber wie die Entwicklung der Elektrifizierung des Verkehrs aktuell zeigt, braucht es eine Vielzahl von Stakeholdern mit ihren jeweiligen Kernkompetenzen. Gleichzeitig müssen neue Kompetenzen entwickelt werden, z.B. energienahe Serviceleistungen im Bereich Ladesäulenbau und -betrieb, Steuerung von Batterien als dezentrale Speichern oder auch die Abrechnung von Stromentnahmen bzw. die Vergütung für die Einspeisung nicht verwendetem Batteriestroms. Hier braucht es spezifisches energiewirtschaftliches Know-how sowie neue Kompetenzen. Insbesondere die Kommunikation (IoT) der Vielzahl von Akteuren (Autos, Ladesäulen, Batterien, weitere Einspeisepunkte) sind eine enorme Herausforderung, welche bei weitem noch nicht gelöst ist. Die Möglichkeiten für den Aufbau neuer Geschäftsfelder auch für kleine EVUs sind vorhanden, denn es gibt aktuell keinen Stakeholder und kein Unternehmen, welche die Herausforderungen im Alleingang bestreiten können. Dieses Geschäftsfeld muss gemeinsam entwickelt werden. Deutlich wird in diesem Modell auch der nun veränderte „Share-Of-Wallet“. Aber auch das ist nicht negativ, sondern zeigt einfach die andere Perspektive, der sich die Branche annehmen muss: Ein Monopol wird es nicht mehr geben und es braucht wahrscheinlich ein Portfolio verschiedener Ansätze, um Ertragslücken zu schliessen. Abb.1: Überblick E-Mobility

Digitaler Zwilling, am Beispiel des Windrades oder der Wasserkraftturbine

Viele EVUs leisten nicht nur Verteilung und Vertrieb, sondern erzeugen auch Storm. Windräder oder Turbinen sind dabei bewährte Instrumente im Rahmen der erneuerbaren Energien. Wie auch andere bewegliche Teile unterliegen diese einem kontinuierlichen Verschleiss. In den letzten Jahren wurde das Konzept des „Digitalen Zwillings“ entwickelt. Dieses beruht auf der Digitalisierung und digitalen Modellierung von Objekten. So kann beispielsweise ein Windrad als Objekt, aber auch in seiner Dynamik realitätsgetreu modelliert werden. Dies wiederum hilft dem Betreiber oder dem EVU Aussagen zu Wartungszyklen und Reparaturarbeiten abzuleiten (Predictive Maintenance). Dies wiederum spart Kosten und erhöht die Effektivität des Windrades.

Allein könnte ein EVU die nötige Kompetenz für Entwicklung und Betrieb eines Digitalen Zwillings nicht erarbeiten. Unter Nutzung der bestehenden Technologien und der Integration von Partnern ist hier jedoch ein neues Geschäftsmodell denkbar. Software Unternehmen können gegebenenfalls entsprechende Modelle entwickeln, aber sie brauchen die Expertise der EVUs. Spätestens im Bereich des Services können EVUs ihre Erfahrung ausspielen und, beispielsweise mit den Daten aus eigenen Windparks, wiederum anderen Windparkbetreiber beraten. Der Möglichkeitenraum ist gross, aber zuvor müssen die verschiedenen Kompetenzen von Software Entwicklungsunternehmen (Digitaler Zwilling), Telekommunikationsanbietern (Konnektivität), Hardwareproduzenten (Sensoren), Wartungsdiensten (Service und Reparatur), Betreibern (EVUs) etc. klug kombiniert werden. Auch hier gibt es die schon beschriebenen neuen Herausforderungen bei der Abgrenzung des Share-Of-Wallet und des Beitrags der EVUs.

Abb.2: Digitaler Zwilling für Windräder

Demand-Side Management

Die Entwicklung von wenigen zentralen Kraftwerken zu einer Vielzahl von dezentralen Produzenten ist nicht mehr aufzuhalten. Dies wiederum führt zu erheblichen Herausforderungen im Verteilnetz der EVUs. Um diesen Herausforderungen zu begegnen gibt es verschiedene Strategien. Im Bereich des Demand-Side Managements stossen hier seit Jahren neun Marktteilnehmer auf den Markt. Die Idee ist denkbar einfach und in verschiedenen Ausgestaltungen denkbar. Eine Möglichkeit ist, dass eine zentrale Steuerungseinheit eine Vielzahl von Abnehmern überwacht. Sobald sich im Netz eine Unterdeckung abzeichnet (normalerweise ein Bedarf für Regelenergie), kann Energie zur Verfügung gestellt werden, welche vorab durch die intelligente Anpassung von Lastverläufen „gewonnen“ und gespeichert wurde. Das klassische Beispiel ist die automatisch geregelte Verschiebung der Aktivierung der Heizungsanlage oder der Waschmaschine. Dies erfolgt über eine IoT-Plattfom, welche sämtliche Geräte (Sensoren und Aktoren) miteinander verbindet. Auch ganze Smart Grids, also miteinander verbundene (Energie-)Produzenten und (Energie-)Konsumenten, können ähnlich gesteuert werden. Ein sehr interessantes Beispiel für Demand-Side Management zur Reduktion von Regelenergiebedarf ist das Unternehmen tiko, welches lange Zeit eher ein Spin-Off eines Telekommunikationsunternehmens war und von EVUs kritisch beäugt wurde. Heute unterhält tiko Kooperationen mit EVUs in ganz Europa.

Zunächst ist dies eine direkte Konkurrenz für die Energieversorger und deren Primat auf die Erzeugung. Insofern stellt sich die Frage, warum sich diese an einem solchen Geschäftsmodell beteiligen sollten. Vermutlich weil die Entwicklung von der Idee des Demand-Side Managements und der Smart Grids alternativlos und nicht aufzuhalten ist. Die EVUs haben daher heute noch die Chance sich frühzeitig in diesem komplexen Kompetenznetzwerk zu engagieren und langfristig neue Kompetenzen aufzubauen. Smart Grids und Demand-Side Management Konzepte können aus verschiedenen Gründen (nicht zuletzt aus Gründen der Versorgungssicherheit und der Netzstabilität) nicht kurzfristig EVUs mit ihrer klassischen Erzeugung obsolet machen. Doch gerade dadurch gibt es eine Chance für die EVUs, an diesem sukzessiven Wandel mitzuwirken.

Abb.3: Demand-Side Management

 Zusammenfassung

Das Geschäftsmodell von Energieversorgern ist bedroht. Es stellt sich daher die Frage, wie man zurückgehende Umsätze durch neue Geschäftsmodell kompensieren kann. Dem Hang der „Eigenentwicklung“ sollen EVUs in Zeiten dabei widerstehen. Es gibt zu viele Beispiele, die eindrücklich illustrieren, dass der Aufbau neuer Geschäftsmodelle „von innen heraus“ nicht erfolgreich sein wird (Stichwort Smart Home). Wichtige Aspekte:

  • Ökosysteme sind ein industrieübergreifendes Phänomen, welches für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle geeignet scheint. Der Vorteil der Ökosysteme liegt vor allem darin, dass bestehendes Know-how in einem Partnernetzwerk genutzt werden kann und Kompetenzen nicht redundant entwickelt werden müssen (Fokus: Kernkompetenzen und Entwicklung neuer verwandter Kompetenzen).
  • Eine wesentliche Herausforderung sind in diesem Ansatz die hohen Anforderungen, ein effektives Partnernetzwerk zu steuern. Hierfür braucht es ebenfalls neue Kompetenzen und klare Governance Kriterien.
  • Kommerziell im Fokus ist der „Share-Of-Wallet“, also der Teil des Ökosystem-Ertrags, welchen sich ein Unternehmen zu nutzen machen kann.
  • Energiewirtschaftliche Beispiele für komplexe neue Geschäftsmodelle, die ein Ökosystem erfordern gibt es bereits (zum Beispiel Elektromobilität, Digitaler Zwilling, Demand-Side Management).

Anmerkung: Der Artikel orientiert sich bezüglich der Verwendung des scharfen S (ß) an der in der Schweiz gebräuchlichen Verwendung des doppelten S (ss).